Labstelle Wien | Essen mit / ohne Genussfaktor?

Labstelle Wien, Brot und Butter hausgemacht

Kaum zurück von unserer kulinarischen New York Reise, sind wir gleich wieder ein wenig wehmütig geworden. Nicht, dass wir die zahllosen Fast Food Buden und Hot Dog Stände dort vermissen würden. Nein, uns hat es ein ganz anderer New Yorker Restaurant-Typus angetan: unkomplizierte Lokale mit gemütlich-schickem Ambiente (vulgo Shabby-Shic) und tollem Essen bei moderaten Preisen, das sich vor allem durch beste regionale Produkte auszeichnet. Außerhalb Wiens gibt es eine Reihe empfehlenswerter Landgasthäuser, die diesem Konzept noch halbwegs nahe kommen, auch wenn dort eher urige Gemütlichkeit statt urban-lässiger Flair herrscht. In der Bundeshauptstadt selbst, suchen wir solche Lokalitäten aber meist vergebens. Und ja klar: Charmante Wiener Beisln und noble Hauben-Restaurants gibt es in Wien genug. Wir suchen was anderes…

Just in unserer Post-New-Yorker Trotzphase hören wir von einer neuen Adresse im ersten Wiener Gemeindebezirk, die sich anschickt ein Restaurant mit dem von uns ersehnten Anforderungsprofil zu sein. Ehrlich, regional verwurzelt, saisonal und mit besten Zutaten soll dort gekocht werden. Zugleich soll kein unnötiger Schischi die Gaumenfreuden stören, sondern das unaufgeregte Fröhnen von bestem Essen und Trinken im Mittelpunkt stehen. Passender Name: Labstelle Wien. Rätselhaftes Motto: Essen mit / ohne Schnickschnack. Wir haben die neue Labestation am Lugeck (zwischen Stephansplatz und Schwedenplatz) aufgesucht, um herauszufinden, was es mit diesem Schnickschnack auf sich hat, bzw. – was uns viel mehr interessiert – ob hier mit oder ohne Genussfaktor gekocht wird.

An einem lauschigen Sommerabend nehmen wir im dezent begrünten, aber sehr schicken Gastgarten der Labstelle Platz. Das Atrium, das einen neuen Durchgang zwischen Lugeck und Wollzeile bildet, bietet zwar weder einen tollen Ausblick noch viel Sonne, kann aber mit toller Architektur und viel Ruhe mitten im Wiener Alltagstrubel punkten. Ab und zu verirren sich ein paar Touristen in den Durchgang (ob sie den Figlmüller suchen?), nicht ohne den schmucken Innenhof mit einem Foto zu würdigen. Beim Gang in den Gastgarten erhaschen wir nur einen kurzen Blick in das Innere. Unser Eindruck: unerwartet groß, etwas zu aufgeräumt – aber insgesamt ansprechend: modern und sehr einladend.

Der Blick in die Speisekarte zaubert uns ein Lächeln ins Gesicht: viel frisches Gemüse, heimisches Vieh und Süßwasserfische dominieren die Karte. Die Auswahl fällt schwer – alles klingt so gut. Zum Glück gibt es auch ein Überraschungsmenü (3 Gänge um 33 € mit Schnickschnack bzw. 28 € ohne Schnickschnack). Ein bisschen Schnickschnack darf es schon sein, und so ordern wir einmal das entsprechende dreigängige Menü. Der Rest der Fressfreunde-Runde bestellt à la carte. Bei Hausbrot und selbstgemachter Butter (beides super im Geschmack aber zu hart in der Konsistenz) warten wir freudig auf die Vorspeisen:

Kohlrabi, gefüllt mit Gemüse der Saison, Kräutersalat und schaumiger Lavendel

Auf einem grünen Teller kommt dann schon die erste – rein vegetarische – Vorspeise daher. Beim Kohlrabi, gefüllt mit Gemüse der Saison, Kräutersalat und schaumigem Lavendel vermissen wir die tierische Komponente kein bisschen. Der unscheinbare Kohlrabi entuppt sich als Geschmacksbombe: das knackige Gemüse schmeckt herrlich aromatisch, der Kräutersalat und die Lavendelcreme runden das vegetabile Gemälde perfekt ab. Großes Tennis.

Blondvieh, gehackt und dünn geschnitten mit hausgemachter Senfcreme

Das Gegenteil von der ersten Vorspeise wird mit dem Blondvieh geboten, das einmal gehackt als Tatar und einmal dünn geschnitten als Carpaccio mit hausgemachter Senfcreme serviert wird. Die Senfcreme macht unseren Geschmacksnerven viel Freude, hätten wir aber eher als Pinienkern- oder Walnusspesto (?) bezeichnet. Herrlich nussig, schmalzig und scharf. Oben drauf gibt es noch eine ordentliche Tatar-Nocke, fein abgeschmeckt aber für uns etwas zu ketchuplastig.

Paradeisvielfalt, roh mariniert und aufgeschlagen, geräucherter Ziegenkäse, Stangensellerie als Salat

Schon beim Lesen der Speisekarte haben wir uns auf die Paradeisvielfalt mit geräuchertem Ziegenkäse und Stangensellerie-Salat gefreut. Dementsprechend groß war die Erwartung; leider finden wir am Teller nur eine Mini-Porition mit einer Hand voll Paradeiserachterln vor, etwas einfallslos abgeschmeckt und unspektakulär arrangiert mit Ziegenkäse und Sellerie. Ja, eh.

Kalbsrücken, hausgebeizt, Karotten von der Gärtnerei Bach, Traubensenf-Mayonnaise, Senfkresse

Da macht uns die Vorspeise des Schnickschnack-Menüs, der hausgebezeite Kalbsrücken mit grandiosen Karotten von der Gärtnerei Bach, Traubensenf-Mayonnaise und Senfkresse, gleich wieder viel mehr Spaß. Der Kalbsrücken zergeht auf der Zunge, da lassen wir glatt das Blondvieh-Carpaccio (siehe oben) stehen. Einziges Manko: der Teller ist zu schnell aufgegessen!

Kalbsleber mit karamellisierter Apfel, Cox Orange, pürierte Erdäpfel, hausgemachte Zwiebelmarmelade

Ein großes “Ahh” und “Ohh” entlockt uns der erste Hauptspeisen-Gang: die himmlische Kalbsleber mit karamellisiertem Apfel, Cox Orange, pürierten Erdäpfel und hausgemachter Zwiebelmarmelade ist schlichtweg das Highlight des Abends. Perfekt gebraten, zart buttrig und geschmeidig am Gaumen. Der leicht bittere Leber-Geschmack wird perfekt durch die süße Noten von Apfel, Orange und Zwiebelmarmelade abgefedert. Das Püree hat Schaufelfaktor!

Kalb Nüsschen mit Kräutern, zart rosa, cremige Rollgerste, Mangold

Ebenso perfekt rosa gebraten präsentiert sich das Nüsschen vom Kalb mit Kräutern, cremiger Rollgerste und Mangold. An das Geschmackserlebnis von der Kalbsleber kommt dieses Gericht aber nicht ran. Trotzdem: sehr fein!

Bauern Rossini, rosa gebratenes Rib-Eye, Hühnerleber-Jus, schwarze Nüsse und eingelegte Pilze, Kartoffel in Butter geschmort

Auf den etwas derben Namen Bauern Rossini hört das rosa gebratene Rib-Eye-Steak mit Hühnerleber-Jus, schwarzen Nüssen, eingelegten Pilze und Kartoffel. Starke Esser werden auch hier die Portionsgröße bemängeln – ansonsten aber makellos.

Schweinefilet mit Erdäpfel- und Erbsenpüree

Nochmal Kalb, diesmal mit Erdäpfel- und Erbsenpüree kommt als Hauptspeise des Überraschungsmenüs auf den Teller. Das Gericht ist bei weitem nicht schlecht, wirkt aber etwas sehr improvisiert und lieblos – bestimmt das schwächste Hauptgericht an diesem Abend. Diesmal patzt auch (das erste und einzige Mal!) das Service: Gleich zwei Kellner wissen nicht, was sie uns gerade kredenzen. “Haben sie das Menü mit oder ohne Schnickschnack?”, werden wir gefragt. “Das MIT Schnickschnack sollte ein Rib-Eye-Steak sein” – ähm nein, definitiv nicht. Die Schnickschnack-Verwirrung ist komplett und wird nie aufgefklärt.

Schneenockerl, luftig geschlagen, ordentlich Vanillesauce, geeiste Himbeere

Eher mau geht es auch bei den Desserts weiter: das luftig geschlagene Schneenockerl mit sehr rumlastiger Vanillesauce trifft einfach nicht unseren Geschmack. Das dazu gereichte Himbeereeis ist hingegen zum Niederknien (ob das Gelato eventuell vom Bio-Greissler aus der Rotenturmstraße nebenan kommt?).

Schokolade dreistrahlig vom Zotter

Zurück auf einen sehr hohen Genusslevel geht es dann mit der Schokolade dreistrahlig vom Zotter. Ein absoluter Hingucker, mächtig schokoladig, schön abgerundet mit frischen Erdbeeren und Rhababer. Das gefällt!

Zitronenkuchen mit Himbeereis

Der Zitronenkuchen mundet zwar ebenso, ist aber für einen Zitronenkuchen etwas zu süß geraten. Das Himbeereis kennen wir ja schon von den Schneenockerl – aber von diesem darf es gern ein wenig mehr sein.

Kaskunst in Variation

Auf einem schnittigen Holzbrett wird dann noch die Kaskunst in Variation serviert. Und tatsächlich: die versprochene Kunstfertigkeit in Sachen Käse findet sich auf der Platte wieder. Eine sehr feine Auswahl aus Bergkäse, Pecorino und Weichkäse schließt unsere Mägen auf äußerst delikate Weise.

In der Labstelle Wien wird schon sehr viel richtig gemacht – so kurz nach der Neueröffnung gebührt dem gesamte Team dafür großes Lob und viel Respekt. Hier wird nichts dem Zufall überlassen: das kulinarische Konzept ist perfekt durchdacht (angefangen bei den Zutaten, über die Speisekarte, bis hin zur Präsentation). Stil und Ambiente wirken modern, einladend und gemütlich. Das Service zeigt sich sehr zuvorkommend und fast etwas überfreundlich. Alles im allem, ist die Labstelle eine sehr erfreuliche Neueröffnung und Bereicherung für Wiens Restaurantszene. Für einen superlässigen, ungezwungenen Schick (den das Lokal eventuell gerne vermitteln würde), ist das durchgestylte Konzept aber doch noch zu präsent und geht auf Kosten der Authentizität. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Fazit: hier wird eindeutig mehr mit – als ohne – Schnickschnack gekocht, aber zum Glück auch mehr mit – als ohne – Genussfaktor!

Labstelle Wien

Labstelle Wien
Lugeck 6, 1010 Wien
www.labstelle.at

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3 Gedanken zu “Labstelle Wien | Essen mit / ohne Genussfaktor?

  1. Das Motto “mit / ohne Schnickschnack” klingt ja nun wirklich etwas verwirrend oder unentschlossen. Das Restaurant durchaus als eine interessante Ergänzung in der Wiener kulinarischen Landschaft. Danke für den informativen & ausführlichen Bericht! Ist vorgemerkt für den nächsten Wien Besuch…

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