Amadors Wirtshaus | Der Besuch der Parasiten

Amadors Wirtshaus

Juan Amador hasst Foodblogger. Das sagt er zumindestens in Tim Mälzers TV-Show und nennt sie ihn einem Interview in der Stuttgarter Zeitung sogar Parasiten. Wir haben ihn trotzdem in seinem neuen Wirtshaus in Wien Döbling besucht und können diese Antipathie leider nicht erwidern – es schmeckte einfach zu gut. Dennoch ergreifen wir die Chance der – zwischen den Zeilen liegenden – Aggro-Stimmung und fallen mit unserer Kritik ausnahmsweise gleich ins Haus:

  • Keine Spur von Casual Fine Dining: Uns ist die Debatte um den Namen “Wirtshaus” ja prinzipiell wurscht, aber einen Hauch mehr Gemütlichkeit und Ungezwungenheit hätten wir uns hier schon erwartet (vor allem, weil dies von Amador auch genau so angekündigt wurde). Am liebsten hätten wir in der lässigen Greißlerei Platz genommen und uns dort das 5-Gänge-Gourmetmenü reingeschraubt.
  • Nervige Musik: die musikalische Untermalung wäre eine Beleidigung für jeden Fahrstuhl gewesen. Langweilig, eintönig, laut und penetrant. Zum ersten Mal hat uns eine Musik in einem Lokal wirklich gestört. Da waren uns sogar die satten Beats im Kussmaul lieber.
  • Kaum Saisonalität und Regionalität: die ersten beiden Gänge des Menüs zeigen noch sehr gut, wie Amadors Küche mit Wien-Bezug aussehen kann. Danach wird es leider beliebig. Auch die Frühlingssaison wird nur durch eine einzige Zutat (Spargel) in insgesamt zehn Gängen gehuldigt. Ansonsten hätte man jedes Gericht wohl auch in jeder anderen Saison servieren können.
  • Wenig Originalität: man wird das Gefühl nicht los, dass Amador sein Mannheimer Restaurant samt Crew, Porzellan und Speisekarte einfach nach Wien übersiedelt hat. Wiener Küchenzitate sucht man ab Gang 3 vergebens und mit Ösi-Schmäh und -Charme wird sowieso gespart.

Genug gedisst! Jetzt erzählen wir euch wie fantastisch gut es uns in Amadors Wirtshaus geschmeckt hat:

Ouvertüre

Ouvertüre: Strammer Max mit Schinkenessenz | Gulaschgermknödel mit Ochsenschwanz-Füllung | Beef Tatar Chinoise

Im Wirtshaus-Teil von “Amador’s Wirtshaus & Greißlerei” werden zwei Sechsgänge-Menüs inkl. ein paar Kleinigkeiten vorneweg und hint’n nach angeboten. Die Menüs hören auf die unergründlichen Namen “Zauberflöte” und “Fidelio” und kosten ohne bzw. mit Käse (aus der Fromagerie zu Riegersburg) jeweils 105 bzw. 125 Euronen. Das Weinmenü gibt es um happige 85 € dazu. Wir bestellen beide Menüs ohne Käse (denn die großartigen Stinker von der Riegersburg kennen wir eh schon) sowie die Weinbegleitung zu Fidelio. Davor gönnen wir uns einen Winzersekt von Miteigentümer Wieninger – dafür traut man sich stolze 16 € pro Glas zu verlangen (Anmerkung: in der Greißlerei haben wir anschließend die Magnum-Flasche des süffigen Cuvées Katharina um 33 € erstanden!).

Will man bei Amador fein speisen, muss man den gemütlichen Teil des Lokals schnell wieder verlassen. Durch die Greißlerei geht es in das traumhafte Gewölbe des ehemaligen Wieninger-Sektkellers mit Blick auf ein paar Barrique-Fässer durch die Glasscheibe. Alles andere ist dann so gar nicht mehr rustikal. Rote Teppiche, runde Tische mit bodenlanger weißer Tischwäsche, schummriges Licht und nervtötende Instrumental-Mukke in der Dauerschleife. Das Service ist freundlich, aber zurückhaltend. An sich nicht störend, aber von einem Sommelier oder Chefkellner hätte man sich schon etwas mehr Redseligkeit und Esprit erwartet.

Aber nun endlich zum Essen: kaum stehen die Amuse Bouches am Tisch darf man in die fabelhafte Welt von Juan Amadors Aromen und Geschmäcker eintauchen. Der Stramme Max mit Schinkenessenz erinnert zwar nur flüchtig an ein ordinäres Abendbrot, schmeckt aber herrlich kross-schmalzig-intensiv. Beim daumengroßen Gulaschgermknödel schmeckt man jedes seiner geschätzten 1000 komprimiert und sündhaft guten Kalorien, und der (viel zu kleine!) Klecks vom Beef Tatar Chinoise sucht sowieso seines Gleichen. Lasst uns nicht mehr von Ambiente, Musik und Service reden – schwärmen wir einfach vom Essen…

Geeister Gemischter Satz: Royal Caviar | Haselnussmilch | Malzbrot

Geeister Gemischter Satz: Royal Caviar | Haselnussmilch | Malzbrot

Wir tippen auf die Geheimzutat “Butter”, die hier zur Genüge verarbeitet wurde, um diese Eiscreme so unglaublich cremig-mollig zu machen. Haselnussmilch und Malzbrot steuern großartige Umami- und Röstaromen bei, nur der teure Kaviar geht bei so viel Mächtigkeit einfach unter.

Alpenlachs: Gurke | Dill | Kren

Alpenlachs: Gurke | Dill | Kren
Weingut Mantlerhof, Kremstal, Österreich: Roter Veltliner Reisenthal Reserve 2014 

Etwas filigraner, aber nicht weniger aromatisch geht es im Menü “Fidelio” zu. Der Alpenlachs wurde so zart gegart, dass er mit der Gabel zerfällt. Dafür streiten sich die grandiosen Knusper-Irgendwas-Kügelchen obendrauf und die seperat gebratene Fischhaut um die beste Crunchigkeit. Der Gurken-Dill-Sud ist von einer famosen Intensität und gibt dem Gericht einen eigenständigen Charakter.

Zander: Paprika  I  Gulaschsaft  I  Palffy Knödel

Zander: Paprika  I  Gulaschsaft  I  Palffy Knödel

Ein sehr schönes Zitat österreichischer Küche gelingt dem Amador-Team mit dem Zander im Paprika- bzw. Gulaschsaft. Das hauchdünne Pallfyknödel dazu hätte man sich zwar sparen können, dafür sorgt die Scheibe Lardo obendrauf für die – für ein Gulasch dringend notwendigen – Fett-Assoziationen. Aus dem Gulaschsaft wurde hier freilich ein wahnsinnig g’schmackiger Gulaschjus, der gemeinsam mit Paprikacreme und -röllchen, das Gulasch bzw. Paprikahendl-Erlebnis auf Gourmetniveau perfekt macht.

Kabeljau: Melanzani  I  Lustenauer Senf  I  Herzmuscheln

Kabeljau: Melanzani  I  Lustenauer Senf  I  Herzmuscheln
Suertes del Marqués, Teneriffa, Spanien: Vidonia 2014

Dieses Gericht bleibt vor allem dank seiner außergewöhnlichen Kombination aus Fisch, Meeresfrüchten und Lustenauer Senf (!) in Erinnerung. Das schmeckt so aberwitzig gut, dass wir zweimal nachfragen müssen, ob es sich bei der schwarzen Paste am Teller tatsächlich um den Senf (Schwarzes Gold: mit Traubenkernöl) handelt.

Herzbries: Jakobsmuschel  I  Petersilie  I  Pastinake

Herzbries: Jakobsmuschel  I  Petersilie  I  Pastinake

Danach driftet Amador in Richtung seiner Klassiker ab, die er bereits in Mannheim so – oder so ähnlich – kredenzt hat. Und ja: Dreisterne-Küche schmeckt nun mal sensationell gut! Zartes Bries und glasige Jakobsmuschel dürfen hier in einem hocharomatischen Süppchen aus Petersilie schwimmen, das zudem von einem Petersilien-Gelee bedeckt wird. Tolle Konsistenz, wahnsinnige Geschmacksintensität. Zum Hineineinlegen!

Kaisergranat: Kalbskopf  I  Spargel  I  Sauce Gribiche

Kaisergranat: Kalbskopf  I  Spargel  I  Sauce Gribiche
Weingut Rudolf Fidesser, Weinviertel, Österreich: Grüner Veltliner Kapellenberg 2013

Der Wahnsinn geht auch im Menü Zwei munter weiter: der Kaisergranat (Langostino) ist in Perfektion gegart und wird sensationell vom hauchdünnen Kalbskopf und der feinen Säure der Sauce Gribiche konterkariert. Der weiße Spargel wurde nur kurz am Holzkohlegrill geschmissen und kann so seine Knackigkeit und sein Aroma perfekt ausspielen. Wow!

Mieral Taube: Mango  I  Cocos  I  Purple Curry

Mieral Taube: Mango  I  Cocos  I  Purple Curry

Im Hauptgang angekommen, heben wir endgültig in neue kulinarische Sphären ab: die Mieral Taube (Amadors Signature Dish) ist schlichtweg eines der besten Gerichte, die wir je genießen durften. Jede Beschreibung spottet der Genialität dieser Götterspeise – nur so viel: buttrig-lebrig-zart (Taube), samtig-würzig-süß (Sauce und Gewürzmantel), exotisch-erfrischend-überraschend (Cremen und Beiwerk).

Lammrücken: Artischocken  I  Morcheln  I  Schwarze Oliven

Lammrücken: Artischocken  I  Morcheln  I  Schwarze Oliven
Muhr-Van der Niepoort, Carnumtum, Österreich: Rote Erde 2013

Da kommt der Lammrücken freilich lange nicht mit. Auch wenn die Tapanade aus schwarzen Oliven sehr schön am Gaumen kitzelt und die Artischocken und Morcheln eine sehr gute Beilage zum perfekt rosa gegarten Fleisch liefern. Vielleicht hätte hier eine rustikalere Lammvariante mit viel Röstaromen und deftigen Gewürzen besser funktioniert, um gegen die Taube im Menü “Zauberflöte” antreten zu können (was zugegeben aber nicht die Aufgabe dieses Gerichts war).

Zartbitter: Salzkaramell  I  Wiener Melange  I  Original Beans

Zartbitter: Salzkaramell  I  Wiener Melange  I  Original Beans

Vor den Süßspeisen halten wir kurz inne und hoffen, dass auch die Pâtisserie-Künste aus dem Mannheimer Dreisterne-Haus nach Wien mitübersiedelt sind. Und ja: sind sie! In Amadors Wirtshaus bleiben die Desserts am selben hohen Niveau wie die vorherigen Speisen und schmecken einfach himmlisch. Die Variation aus Zartbitter-Schokolade (inklusive Parfait, das nicht am Foto zu sehen ist) übererfüllt alle Erwartung eines jeden Schoko- bzw. Nachspeisentigers. Üppig, süß und dennoch sehr raffiniert!

Brick in the Wall: Rote Rüben  I  Himbeere  I  Tonka Bohne

Brick in the Wall: Rote Rüben  I  Himbeere  I  Tonka Bohne
Weingut Clemens Busch, Mosel, Deutschland: Riesling Marienburg Kabinett 2014

Noch eine Spur besser gefällt uns Amadors Nachspeisenklassiker “Brick in the Wall”. Der süße Legostein aus Rote Rüben und Himbeeren samt Sorbets, Mini-Macarons und Cremchen trifft genau unseren Geschmack. Ein erfrischender Abschluss mit perfekter Balance zwischen Süß und Sauer als (beinahe) Höhepunkt des Menü (schließlich wollen und können wir die Taube noch immer nicht vergessen!).

Naschmarkt

Naschmarkt: Zuckerkaramell Dille und Rote Rübe mit Wasabi | Cannelés | Helle Schokolade mit Hühnerhaut | Dunkle Schokolade mit Schweinepopcorn | Geeiste Yogurette in Steinform

Zum Abschluss werden uns noch ein paar köstliche Naschereien zu einem perfekten Espresso serviert (letzteres ist in der Spitzengastronomie leider keine Selbstverständlichkeit): die Cannelés sind zwar unnötig wie immer (werden oft als Petit Fours serviert, sind aber nie gut), dafür schmecken die kreativen Schokokreationen und die Yogurette-Eis-Steinchen absolut himmlisch. Applaus gibt es auch für das Zuckerkaramell mit Wasabi, für die man eigentlich einen Waffenschein bräuchte (scharf!).

Amadors Wirtshaus muss selbstverständlich als neuer Fixstern in Wiens Gastroszene gesehen werden. Wo man so gut isst wie hier, da wird es stets ausgebuchte Tische und lange Reservierungslisten geben. Noch dazu, weil die Preisgestaltung des Essens sowie der Flaschenweine absolut fair kalkuliert ist (am Nebentisch wurde der Kellner sogar gefragt, ob es sich bei einem Wein tatsächlich um den Preis für die Flasche und nicht für das Glas handle). Eine kleine Frechheit sind hingegen die Preise für Weinbegleitung und den Aperitif (wie bereits zu Beginn erwähnt): die Weine waren sehr gut auf die Speisen abgestimmt, recht außergewöhnlich und absolut passend. Allerdings wurden hier durchwegs nur 20 € Weine serviert. Somit hätte man für die 85 € der Weinbegleitung fast alle 5 Flaschen aus dem Weinmenü ab Hof kaufen können.

Ansonsten können wir nur unsere Eingangskritik wiederholen: Fantastisches Essen trifft hier auf schnödes Ambiente, langweiliges Service und wenig Originelles. Unser Tipp an Amador: schmeiß die roten Teppiche und die weiße Tischwäsche aus dem Kellergewölbe, sorge für tatsächlich gemütliche und lockere Atmosphäre und nimm dem Servicepersonal den Stock aus dem Arsch. Moderne Sommeliers können begeistern, Schmäh führen und lassen den Gast manchmal auch selbst über die Weinbegleitung entscheiden (siehe z.B. im O Boufés, wo man teilweise 3 Kostgläser pro Gang einfach so zum Probieren bekommt). Ansonsten hoffen wir, dass Amador die Wiener Luft nicht weiterhin nur schnuppert sondern bald vollständig inhaliert hat. So könnte hier noch ganz Großes entstehen: Amadors geniale Küche gwürzt mit Wiener Kulinarik – und das am besten in einer echten Casual Fine Dining Variante. Wenn es dann so weit ist, kommen wir sehr gerne wieder…

Amadors WirtshausEmpfehlenswert | Preis-Leistung: ok 

Amador’s Wirtshaus & Greißlerei
Grinzingerstraße 86, 1190 Wien
www.amadorswirtshaus.com

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7 Gedanken zu “Amadors Wirtshaus | Der Besuch der Parasiten

  1. Toller Bericht, schön zu lesen! Und als Exil-Wiener, der die Küche von Amador aus Mannheim und Co kennt war ich schon sehr neugierig auf diesbezügliche Eindrücke!

    Eine Menge – von Gerichten bis zu Inneneinrichtung -klingt ähnlich zur letzten Wirkungsstätte von Amador in Mannheim. Gute Frage, wie “wienerisch” oder “international” ein Amador-Restaurant in Wien sein sollte. “Gasthaus” und “Zauberflöte/Fidelio” (bitte die Menünamen ändern, klingt ja total nach Touristenktisch, aber nicht nach Top-Küche) wecken halt schon Wienerische (oder Salzburger?) Erwartungen. Vielleicht muss die Küche hier noch die finale Linie finden, vielleicht braucht Service, vielleicht brauchen die Details noch Zeit… Aber wenn das alles zusammenkommt, dann ist ein Amador in Wien sicher eine geniale neue kulinarische Facette in der Stadt, und ich freue mich schon, das bei irgendeiner Gelegenheit kennenzulernen.. Eurer Bericht hat mir den Mund wässrig gemacht!

    • Hallo! Vielen Dank für dein Lob – wir sind absolut deiner Meinung. Wir freuen uns schon auf deinen Bericht (vielleicht in ein paar Monaten, wenn die Küche ihre finale Linie gefunden hat).

      LG, Tini & Thomas

  2. Fein, dass das Essen bei Euch auch so phantastisch war!
    Bei der Musik sind wir uns ebenfalls einig.;-)
    Das Service war an unserem Abend allerdings ausgesprochen nett, frisch und auch nicht maulfaul. Besonders der jungen Sommelier hat uns sehr gut beraten und immer wieder mit uns (wir blieben unerkannt!) geplaudert , ebenso Herr Herzig beim Einstellen der Petits Fours. Menschen haben Tagesverfassungen …
    Keke Grüße,
    Claudia

    • Hallo Claudia!

      Ja, bei Musik und Kulinarik sind wir uns auf jeden Fall einig ;-)

      Das Service war an unserem Abend nett und ok, aber eben auch nicht mehr. Da haben wir uns einfach nicht superwohl gefühlt, wie wir es uns an einem solchen Abend erwarten würden … aber vielleicht ist es auch an unserer Tagesverfassung gelegen.

      LG, Tini & Thomas

    • Vielen Dank, freut uns besonders das von einem Großmeister der Küche zu hören ;-)

      Wir hoffen, dass wir demnächst die Möglichkeit haben Sie im Gusshaus zu besuchen. Einen geplanten Besuch mussten wir letztens kurzfristig absagen. Wir hoffen, es klappt bald.

      LG, Tini & Thomas

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