Joseph Genuss | Mittagsjause Deluxe

Joseph Genuss: Pâtisserie & Bistro

Wenn ein kleiner Bäcker ein Bistro in Wien Mitte aufmacht, und kurz darauf Wiens Foodie-Szene regelrecht “ausflippt”, dann muss dieser Brotbackkünstler ziemlich viel richtig gemacht haben. Dieser Bäcker nennt sich Josef Weghaupt und hat vor etwa zwei Wochen seine zweite Filiale in Wien, diesmal samt Pâtisserie und Bistro, eröffnet. Wir selbst hatten unseren ersten Kontakt mit dem Sauerteigfetischisten Josef dekadenterweise im Steirereck, als uns der Brot-Andi ein herrliches Scherzl vom Joseph-Leib runter geschnitten hat. Heute, ein paar Jahre später, ist der Brot-Renaissancier selbst in der Gastronomie angekommen. Und um herauszufinden, ob das dort wirklich so gut ist, wie alle behaupten, haben wir uns im neuen Joseph Genuss (so der offizielle Name des Bistros) zu einer Mittagsjause Deluxe eingefunden:

Schick ist sie geworden, die Joseph Genuss Pâtisserie & Bistro; manche meinen, fast eine Spur zu schick: da kämpfen die Terrazzoböden und altrosa Steintische mit dem Kleiderbügel-Luster und den grauen Kellnerschürzen im Berlin-Look um den höchsten Style-Faktor. Besonders spektakulär finden wir die hohen Räume und die riesigen Glasfensterflächen. Dadurch hallert es zwar teilweise wie in einer Mensa (und es sieht auch so wie in einer!), am großen Schaufenster geht aber kaum ein Passant vorbei, ohne das Bistro neugierig zu bestaunen. Über Interieur und andere Details lässt sich natürlich streiten, ganz im Gegensatz zum Kulinarischen – denn hier ist im Joseph Genuss der Name eindeutig Programm:

Quitten-Kürbissuppe mit Apfel-Frischkäse Brot

In einem Bistro soll das Essen nicht nur schmecken, es muss auch flott gehen – vor allem wenn man seine wohlverdiente Mittagspause dort verbringt und wieder rechtzeitig zurück im Büro sein sollte. Trotz teilweise chaotischen Zuständen im Service, gelingt das dem Joseph Genuss Team schon ganz gut. Nach 30 Sekunden bekommen wir schon ein Glas Wasser samt Karte, unser erster Gang – eine sämige Quitten-Kürbissuppe mit Apfel-Frischkäse Brot (5,30 €) steht bereits nach 10 weiteren Minuten am Tisch. Die Suppe überzeugt uns mit seiner cremigen Konsistenz (nicht pappig!) und wuchtigen süß-nussigen Quitten-Kürbisaromen. Gemeinsam mit dem Knusperbrot samt Apfel-Frischkäse ist dieser Gang eigentlich schon ein vollwertiger, und vor allem wohltuender, Mittagssnack.

Gebratenes Bachforellenfilet mit Herb-Minestrone und Joseph Brot und Kamptaler Verjus Soda

Wir sind aber natürlich noch weit aus hungriger und vor allem viel zu neugierig. Deshalb genießen wir danach noch ein Gebratenes Bachforellenfilet mit Herbst-Minestrone und Joseph Brot (13,70 €). Der Fisch ist schön glasig gebraten, die Haut hätten wir uns etwas krosser gewünscht. Die Minestrone mit viel Herbstgemüse wie Karotten, Fenchel und Sellerie ist ein absoluter Knaller und wir haben alles bis auf dem letzten Rest mit Joseph Brot aufgetunkt. Passend zur schönen Säure beider Suppen, genehmigen wir uns dazu ein Kamptaler Verjus Soda (3,80 €). Toll, dass hier auch punkto Getränke innovativ gedacht und ein eigenständiges Konzept verfolgt wird. Oder wo sonst in Wien bekommt man neben Verjus, selbstgemachte Limonaden und Demeter-Fruchsäfte?

Josephs Lammburger mit Pommes Fritz

Das Wein- und Bierangebot weist ebenfalls ein paar starke Positionen auf, könnte aber vielfältiger sein. Zu Josephs Lammburger mit Pommes Fritz (17,20 €) trinken wir ein vollmundiges Burgenländisches Märzen (3,70 €) mit angenehmer Malzsüße von der Privatbrauerei Dangl aus Zettenreith. Der rosa gebratene Lammburger schmeckt fantastisch und verdient schlichtweg die Bezeichnung des besten Burger Wiens seit It’s all about the Meat Baby am Donaukanal. Neben den kross gebratenen Brotsticks (die unverständlicherweise Pommes Fritz heißen), stellt vor allem der Weißmohn-Sauerteig-Bun das Highlight des Burgers dar und kann sich dadurch angenehm vom sonst üblichen Fast Food Allerlei abheben.

Butter-Powidl-Buchteln mit Violas Vanillesauce

Mit den beiden Chefköchen Christian Mezera und Christoph Fink dürfte Josef Weghaupt ein wahrer Glücksgriff geglückt sein. Die ganze Küchenlinie überzeugt durch beste Produkte (vieles in Bio-Qualität), geradliniger Umsetzung und eigenständigen Charakter. Das Spiel der Konsistenzen – cremig und kross – und der Geschmäcker – sauer, salzig und pikant zieht sich quer durch alle Gerichte des Bistros. Chef-Pâtissière Viola Bachmayr-Heyda komplettiert das geniale Küchentrio um den Süßspeisen-Sektor und sorgt ebendort für großen Jubel. Mit den Butter-Powidl-Buchteln mit Violas Vanillesauce (5,30 €) wird die fantastische Pâtisserie-Kunst von Viola mit ihrer Vanillesauce schon leicht angedeutet. Das ganze Spektrum ihrer Handfertigkeit offenbart sich aber erst mit einem Blick in die Süßspeisen-Vitrine, der es unmöglich macht, nicht noch eine kleine Köstlichkeit für zuhause mitzunehmen.

Vanille Powidl Graumohn Religieuse

In einem eleganten Doggy Bag nehmen wir eine sündhaft gute Vanille Powidl Graumohn Religieuse (4,90 €) mit. Die ist etwas für den ganz süßen Zahn, herrlich gemacht und sehr hübsch anzusehen.

Kriecherl Meringue Tarte

Vollkommen angetan hat es uns aber die Kriecherl Meringue Tarte (5,40 €), bei der die Süße der Tarte und des gezuckerten Eischnees traumhaft von der Säure der Kriecherl aufgefangen wird. Wir haben die kleine Tarte, die leider auch sündhaft teuer ist, auf drei Etappen in ganz kleinen Häppchen gegessen, damit wir den herrlichen Geschmack über mehrere Tage hinweg konservieren konnten.

Also gut, wir müssen es also zugeben: Wiens Foodie-Szene ist völlig zu Recht wegen dem Joseph Bistro “ausgeflippt”. Es ist schon außergewöhnlich, wie es Josef Weghaupt schafft, die Attidüde einer ganzen Stadt in Hinblick auf bewusste Ernährung und Produktqualität positiv zu beeinflussen. Auch wenn dabei manchmal über das Ziel hinaus geschossen wird: denn das Joseph Genuss Bistro bezeichnet sich selbst als “Health Food Restaurant” (siehe Facebook), und das finden wir – angesichts der Zuckermengen, die wohl in der Pâtisserie zum Einsatz kommen – doch ein wenig verwegen. Und dann sind da natürlich noch die Preise: man muss schon einen großen Sprung in der Genuss-Schüssel haben, um sich regelmäßig einen Burger um 17 € oder eine Mini-Tarte um über 5 € reinzuhauen.

Ach ja: beim Schreiben dieser Zeilen erreicht uns die kleine Hiobs-Botschaft, dass das Joseph Genuss aus behördlichen Gründe nochmal für ein bis zwei Wochen zusperren muss. Das ist zwar schade, soll aber zum Beseitigen von Kinderkranktheiten genutzt werden. Dazu gleich ein paar Inputs von unserer Seite, damit wir uns nach der Neueröffnung noch mehr auf den Joseph freuen können: Ändert bitte bitte NICHTS an der Küche und ändert bitte schon gar NICHTS an der Pâtisserie! Schraubt ein bisschen an Eurem (teils überforderten) Serviceteam, vergrößert Eure Wein- und Bier(!!!)-Karte und setzt Eure Preise ein bisschen niedriger an, damit wir Euch öfter besuchen kommen können. Und zuletzt: auf der Toilette duftet es zwar schon herrlich nach Maiglöckchen (warum auch immer?), der Kleiderhaken an der Klotür fehlt aber noch.

Joseph Genuss
Empfehlenswert 
Preis-Leistung: ok

Joseph Genuss
Landstraßer Hauptstraße 4, 1030 Wien
www.joseph.co.at
www.facebook.com/josephgenuss

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10 Gedanken zu “Joseph Genuss | Mittagsjause Deluxe

  1. Wunderpholler Artikel, der einfach nur Gutso aufs bistro macht! :-) hab selbst die pastinakencremesuppe mit thumfisch brot probiert, und es war herrlich! Aber ich kann licht ins dunkel um die pommes Fritz bringen :-) die sind nämlich nach dem Bäckermeister in vitis benannt – da es brotsticks sind find ich die Bezeichnung sehr köstlich!
    Lg, panda

    • Hi Panda!

      Vielen Dank für Dein Lob. Wegen den Brosticks: Gegen den Fritz haben wir ja gar nichts, sondern gegen die Pommes – denn das suggeriert einem dass man Erdäpfeln bekommt. Unser Namensvorschlag wäre “Brot Fritz” – aber das sind ja nur Details ;-)

      LG, Tini & Thomas

  2. noch eine ergänzung (nicht zum essen, da bin ich eurer meinung): nicht nur auf dem wc fehlen die haken, im ganzen lokal kann man den mantel nicht aufhängen. angeblich ist das vom architekten so gewünscht, ich finde es nur unpraktisch, wenn man zu viert auf mantel- und taschenbergen sitzen muss.

    • Kannst du deine Meinung etwas weiter ausführen – würde uns interessieren! “Es war ekelhaft” ist jetzt sehr allgemein. Welche Speisen hast du z.B. probiert und was war daran nicht gut?

  3. Ich würde ihn nicht als Bäcker bezeichnen. Er war Marketingmanager für eine Großbäckerei (Kuchenpeter) und ist es jetzt für seine eigene Firma. Geniale Werbung mit demenstprechenden Preisen. Trotzdem gehe ich lieber in die Innenstadt zum Gragger. Da wird auch das Brot in der Filiale selbst gebacken und der Helmut Gragger bäckt dort sogar oft selbst. Für mich viel authentischer.

    • Hallo Thomas!

      Der Gragger ist natürlich auch fantastisch und alleine schon mit seinem Holzofen authentischer. Dennoch sehen wir beim Joseph nicht nur das Marketing sondern auch die absolut hochwertigen Produkte. Beide machen viel richtig – jeder auf seine Art. Siehe dazu auch ein interessantes Interview mit Gragger und Weghaupt auf Biorama: http://www.biorama.at/nicht-nur-vom-brot-allein

      LG, Tini & Thomas

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